Peter H. Fischer:
Erinert irgendwie an die Bankekrise: Gewinne privatisieren, Kosten verallgemeinern...
Veranstaltung: | NEOS Mitgliederversammlung am 24.11.2018 in Linz |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 8: Änderungen des Parteiprogramms, Beschlussfassung von Positionspapieren |
Antragsteller_in: | Peter Gusmits; Gerhard Kratky; Wolfgang Kugler; Viktor Schwarz; Monika Vodnyansky |
Status: | Modifiziert |
Eingereicht: | 24.10.2018, 17:39 |
Ergänzender Abschnitt im Parteiprogramm
„Unsere Pläne für ein neues Österreich“
Die NEOS Charta formuliert im ersten Satz „Wir sehen im Menschen den zu freiem
und verantwortungsbewusstem Handeln befähigten Gestalter seiner eigenen
Lebensverhältnisse“. Es wäre nicht einzusehen, dass diese Grundorientierung in
der letzten Phase seiner Lebensverhältnisse keine oder eine eingeschränkte
Bedeutung haben sollte. Unter letzter Lebensphase wird im Folgenden nicht nur
der Sterbevorgang im engeren Sinn, sondern auch chronisch kritische Krankheit
und kontinuierlich fortschreitende Altersschwäche (z.B. schwere Demenz)
verstanden.
Solange der physische und psychische Zustand es erlauben, müssen die
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen die freie Gestaltung am Lebensabend
ermöglichen. Wenn der gesundheitliche Zustand die freie Gestaltung stark
einschränkt, ist die Verantwortung des persönlichen Umfeldes bzw. der
Gesellschaft gefordert, um den Wünschen des Sterbenden bestmöglich zu
entsprechen und das Sterben in Würde sicher zu stellen.
Probleme mit denen wir konfrontiert sind:
Mängel in der Pflegequalität
Der Weg in eine Betreuungseinrichtung ist für viele alte, pflegebedürftige
Menschen eine Horrorvorstellung. Betroffene verbinden den Weg in ein Heim in
vielen Fällen als Entwurzelung, Abschiebung und Trennung von ihrer Familie.
Das Pflegepersonal in den Heimen ist oft durch überbordende administrative
Arbeiten und unrealistische Mindestpersonalpflegeschlüssel (z.B. Nachtdienst:
eine Pflegekraft für 30 pflegebedürftige Menschen) nicht in der Lage, den
Bewohnerinnen und Bewohnern dieser Heime eine individuelle, angemessene
Betreuung zu ermöglichen. Die Mindestpersonalpflegeschlüssel sind nicht
einheitlich geregelt (neun Bundesländer, neun verschiedene Schlüssel).
Die Bezahlung für qualifizierte Pflegekräfte, die hohen fachlichen, physischen
und psychischen Anforderungen entsprechen müssen, ist absolut nicht angemessen.
Bereits heute wird ein wesentlicher Teil der Pflegeleistungen von Angehörigen
und hier zu einem sehr hohen Anteil von Frauen, erbracht, im Wesentlichen nicht
honoriert und findet bei der eigenen Altersvorsorge (Pension) der pflegenden
Angehörigen keine Berücksichtigung, da unentgeltlich erbracht.
Aufgrund der demografischen Entwicklung hat sich der Pflegeberuf zu einem
Mangelberuf entwickelt. Da hier mit weiteren Verschärfungen zu rechnen ist, sind
weitgehende Reformen dringend erforderlich.
Mängel in der palliativen Betreuung und im Hospizwesen
Etwa 10% der Sterbenden benötigen palliativmedizinische Betreuung. Nach wie vor
gibt es auf diesem Fachgebiet Defizite in der Ausbildung von Pflege- und
medizinischem Personal.
Zurzeit gibt es in Österreich nur einen einzigen Lehrstuhl für Palliativmedizin
in Wien.
Die medizinische Betreuung ist zeitintensiv und wird bei niedergelassenen Ärzten
unzureichend honoriert.
Angehörige dürfen ohne Einwilligung des Patienten nicht über seinen Zustand
aufgeklärt werden und sind diesbezüglich rechtlos.
Es gibt keine einheitlichen, klaren Bestimmungen für alle Bundesländer
hinsichtlich palliativer Sedierung bei unerträglichen Schmerzen von Patienten.
Medizinische Übertherapien am Lebensende – oft verursacht durch Forschungs- und
ökonomische Interessen - verhindern "gutes" menschenwürdiges Sterben und
verlängern einen oftmals schmerzvollen Sterbeprozess.
Hospizeinrichtungen sehen sich hinsichtlich der Finanzierung zwischen
Krankenkassen und zuständigen Gebietskörperschaften „allein gelassen“.
Unzureichende Finanzierung des Pflegesystems
Die Mängel bei der Pflegequalität und beim würdevollen Sterben sind in einem
hohen Ausmaß in der unzureichenden Finanzierung begründet. In Anbetracht des
permanent ansteigenden Lebensalters und des damit dramatisch gestiegenen Anteils
von pflegebedürftigen Menschen, wird die Finanzierung zur wachsenden – bisher
nicht gelösten - Herausforderung. Nach Modellschätzungen des Ageing Reports 2015
der Europäischen Kommission werden sich die Kosten für Pflege bis zum Jahr 2060
mehr als verdoppeln.
Die derzeitige Finanzierung des Pflegesystems kann wie folgt beschrieben werden:
Pflegeregress
Die - jedenfalls bei der Beschlussfassung - nicht gegenfinanzierte Abschaffung
des Pflegeregresses im Zuge stationärer Pflege führt zu verhängnisvollen
Effekten:
Sterbehilfe
Tod und Sterben sind gesellschaftlich stark tabuisiert. Darüber hinaus
erschweren diverse Vorurteile eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema
Sterbehilfe.
Lebensabend und Tod sollen gelingende Endphase eines erfüllten Lebens sein.
Demnach werden fünf Prinzipien verfolgt.
Schutz des Lebens
Der Schutz des Lebens ist ein grundlegendes, unbedingtes ethisches Prinzip,
welches Vorrang vor allen anderen Zielen hat und jedenfalls ökonomischen
Überlegungen nachgeordnet ist.
Eine radikale Auslegung dieses Prinzips würde die volle Ausschöpfung
medizinisch-technischer Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung rein biologischer
Körperfunktionen nach sich ziehen, unabhängig von den Krankheitsumständen
betroffener Menschen, denen dann möglicherweise eine Verlängerung des
Sterbeprozesses und unnötige Leidenserfahrung zugemutet werden.
Die grundlegende Pflicht, Leben durch medizinische Interventionen zu erhalten,
endet
Anspruch auf Selbstbestimmung
Das Recht auf Selbstbestimmung in Zusammenhang mit medizinischen Eingriffen
umfasst zwei Aspekte: Jegliche medizinisch indizierte Handlung darf nur
erfolgen, wenn der Betroffene zustimmt. Zugleich umfasst die Selbstbestimmung
auch das Recht, Hilfsangebote abzulehnen, selbst wenn die Ablehnung fallweise
wenig nachvollziehbar erscheint.
Das Recht auf Selbstbestimmung umfasst auch das Recht auf Sterbehilfe.
Der Respekt vor der Selbstbestimmung eines Patienten setzt die Kenntnis über den
Patientenwillen und damit eine intensive Auseinandersetzung und fortwährende
Kommunikation mit dem Patienten voraus.
Sofern der Patient nicht mehr dazu in der Lage ist, seinen Willen mitzuteilen,
sind Hilfsmittel der antizipierten Willensbekundung (z.B. Patientenverfügung,
Vorsorgevollmacht) heranzuziehen und ist zu überprüfen, inwieweit die Behandlung
im Einvernehmen mit dem erklärten bzw. mutmaßlichen Patientenwillen erfolgt.
Solidaritäts- und Fürsorgeprinzip
Menschen, die unheilbar krank sind oder im Sterben liegen, haben in besonderer
Weise Anspruch auf die Zuwendung ihrer Mitmenschen und die Solidarität der
Gesellschaft, weil sie in hohem Maße hilflos und verletzlich sind.
Es muss gewährleistet sein, dass unheilbar erkrankte und sterbende Menschen den
Schutz genießen, der ihre Rechte als Person garantiert, ihre Fähigkeit zur
Selbstbestimmung nach Möglichkeit fördert und ihnen erlaubt, unter würdevollen
Umständen zu sterben. Der Auftrag zur Minderung von Leid ist ein wichtiges
Element der Fürsorge am Lebensende.
Anerkennung der Eigenvorsorge
Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung verfügt über ein natürliches
Vorsorgeverhalten, welches vor allem zum Ansparen finanzieller Ressourcen für
den Krankheits- bzw. Pflegefall im Alter Ausdruck findet.
Der Einsatz von Vermögen und Einkommen gerade für die letzte Lebensphase ist
ehren- und wünschenswert. Eigenvorsorge steht in keiner Weise im Widerspruch zum
Solidaritäts- und Fürsorgeprinzip, insbesondere in Kenntnis des Faktums, dass
viele Menschen nicht die Möglichkeit des ausreichenden Ansparens für das Alter
haben.
Garantierte Finanzierung
Ein Finanzierungssystem, welches individuelle Eigenvorsorge und staatliche
Solidaritätsleistungen in ausgewogener Form berücksichtigt, ist die Grundlage
für ein nachhaltiges Pflegesystem. Niemand muss befürchten, am Ende des Lebens
aus finanziellen Gründen „ausgesteuert“ zu werden.
Menschenwürdiges Pflegesystem
Finanzierung des Pflegesystems
Unter voller Berücksichtigung des Solidaritätsprinzips durch die Gesellschaft
unterbreitet NEOS einen Finanzierungvorschlag:
Patientenverfügung
NEOS begrüßt die bestehende gesetzliche Rahmenbedingung für die
Patientenverfügung, regt aber folgende proaktiven Maßnahmen zur breiteren
Anwendung vor:
Palliativmedizinische Vorkehrungen
Suizid und Sterbehilfe
Suizid und Sterbehilfe
Suizide sind keine Lösung. Weder für Gesunde noch für Kranke. Suizide sind
deutlich von Sterbehilfe zu unterscheiden. Mangelnde Sterbekultur und vor allem
mangelnde rechtliche Möglichkeiten einer würdevollen Sterbehilfe können der
Nährboden für Verzweiflungstaten sein.
Suizide sind keine Lösung. Weder für Gesunde noch für Kranke. Suizide sind deutlich von Sterbehilfe zu unterscheiden. Mangelnde Sterbekultur und vor allem mangelnde rechtliche Möglichkeiten einer würdevollen Sterbehilfe können der Nährboden für Verzweiflungstaten sein.
Im Folgenden eine Begriffsbestimmung, die rechtliche Situation in Österreich und
die Position von NEOS:
1) Selbsttötung
1) Selbsttötung
Eine Selbsttötung oder ein Selbsttötungsversuch ist in Österreich nicht
strafbar.
Eine Selbsttötung oder ein Selbsttötungsversuch ist in Österreich nicht strafbar.
Position NEOS: Suizide von unheilbar kranken Menschen sind mit dem Begriff
„Würdevolles Sterben“ nicht in Einklang zu bringen.
Position NEOS: Suizide von unheilbar kranken Menschen sind mit dem Begriff „Würdevolles Sterben“ nicht in Einklang zu bringen.
2) Passive Sterbehilfe
2)1) Passive Sterbehilfe
Passive Sterbehilfe bedeutet den Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen. Sie
ist in Österreich nicht strafbar, wenn sie dem ausgesprochenen oder bei
Bewusstlosigkeit dem vorab niedergeschriebenen Willen des Patienten entspricht.
Welche Maßnahmen der Patient zulassen möchte, kann vorab in einer
Patientenverfügung formuliert werden.
Position NEOS: Wegen falsch verstandener Nächstenliebe, medizinischer
Übertherapie, aus Forschungsinteresse oder ökonomischen Interessen, rechtlichen
Unsicherheiten oder aus humanen Überlegungen ist die Kultur eines humanen
Unterlassens unterentwickelt. NEOS unterstützt daher die bestehende gesetzliche
Regelung.
3) Indirekte Sterbehilfe
3)2) Indirekte Sterbehilfe
Indirekte Sterbehilfe bedeutet die Inkaufnahme eines vorzeitigen Todes durch
eine medizinische Behandlung, die primär der Schmerzlinderung dient. Als
Beispiel kann die Verabreichung von starken Schmerzmitteln bei einer tödlichen
Krebserkrankung dienen, welche als Nebenwirkung ein Organversagen hervorruft.
Diese Form der Sterbehilfe ist in Österreich nicht strafbar, wenn sie dem
ausgesprochenen oder bei Bewusstlosigkeit vorab niedergeschriebenen Willen des
Patienten entspricht, da ein schmerzfreies Sterben als das höhere Rechtsgut
gegenüber einer Lebensverlängerung eingestuft wird.
Position NEOS: Hier gilt das bereits zum Thema passive Sterbehilfe Gesagte.
4) Beihilfe zur Selbsttötung
4)3) Beihilfe zur Selbsttötung
Beihilfe zur Selbsttötung (assistierter Suizid) wird – anders als in der Schweiz
- strafrechtlich nicht von der aktiven Sterbehilfe unterschieden und wird gemäß
§77 StGB mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren bestraft.
Position NEOS: wie bei Punkt aktive Sterbehilfe
5) Aktive Sterbehilfe
5)4) Aktive Sterbehilfe
Aktive Sterbehilfe, d.h. die Tötung eines Menschen, ist unabhängig von den
Motiven des Täters in Österreich strafbar. Sie wird per §77 StGB mit einer
Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren geahndet.
Unter genau definierten Voraussetzungen ist aktive Sterbehilfe in folgenden
Staaten seit einigen Jahren erlaubt: Niederlande (2002), Belgien (2002),
Luxemburg 2009) sowie in fünf Bundesstaaten der USA: Oregon (1997), Washington
(2009), Vermont (2013), Montana (2009), New Mexico (2014).
Position NEOS zur Beihilfe zur Selbsttötung und zur aktiven Sterbehilfe: Auch
wenn diese ultima ratio angesichts umfassender palliativer Maßnahmen extreme
Ausnahme bleiben soll, muss das Recht auf Selbstbestimmung gerade in dieser
entscheidenden Phase eines Lebens gelten! Die gesetzliche Regelung ist in diesem
Sinne zu ändern.
Die Position von Neos wird in Anlehnung an das seit 1. April 2002 gültige Modell
und an die seit Jahren praktizierten Vorgehensweisen in den Niederlanden
formuliert, unterscheidet sich allerdings durch eine Verschärfung der
Sorgfaltskriterien in Punkt 5.
Damit ein aktiv Sterbehilfe leistender Arzt/leistende Ärztin straffrei dem
schriftlich niedergelegten oder mündlich ausgesprochenen Wunsch nach Sterbehilfe
entsprechen darf, muss gemäß den nachfolgenden Sorgfaltskriterien gehandelt
werden:
Arzt/Ärztin und Leichenbeschauer melden die Tötung an eine regionale
Kontrollkommission, der auch die schriftliche Erklärung der beiden unabhängigen
Konsiliarärzte zugeht. Die Kontrollkommission überprüft die Tötung auf
Einhaltung der Sorgfaltskriterien. Gelangt sie zu der Überzeugung, dass der Arzt
sorgfältig gehandelt hat, greift der Strafausschließungsgrund und der Arzt wird
nicht strafrechtlich verfolgt. Der Kontrollkommission gehören sechs Mitglieder,
hierunter mindestens ein Arzt, ein Jurist und ein Ethiker an.
Der Wunsch nach Sterbehilfe ist nicht an die Volljährigkeit (18 Jahre) gebunden,
auch Minderjährige können die aktive Sterbehilfe beanspruchen, wenn die
Zustimmung der Erziehungsberechtigten (12 bis 15 Jahre) oder eine Einbeziehung
der Erziehungsberechtigten in die Entscheidungsfindung (16 und 17 Jahre) erfolgt
ist.
Kein Arzt ist verpflichtet, die aktive Sterbehilfe durchzuführen. Medizinische
Hilfskräfte dürfen selbst keine Tötungshandlungen durchführen und können nicht
verpflichtet werden, an einer Tötungshandlung mitzuwirken.
NEOS fordert, den Menschen als den zu freiem und verantwortungsbewusstem Handeln
befähigten Gestalter seiner eigenen Lebensverhältnisse anzuerkennen und
essentielle Entscheidungen dem einzelnen Individuum nicht staatlich zu
verwehren. Es sind alle Möglichkeiten einzuräumen, über sich selbst bestimmen zu
dürfen, allerdings unter sehr restriktiven ethischen und medizinischen Auflagen.
Zum Abschluss ein bemerkenswertes Zitat zu diesem ethisch sensiblen Thema:
„(…) dem Menschen ist von Gott die Verantwortung für sein ganzes Leben gegeben
worden. Damit darf er das Geschenk des Lebens, wenn es zu schwer werde, dem
Schöpfer auch zurückgeben.“ (Prof. Dr. Hans Küng)
[1] In diesem Abschnitt werden Formulierungen in Anlehnung an Formulierungen der
Bioethikkommission aus dem Papier „Empfehlungen zur Begleitung und Betreuung von
Menschen am Lebensende und damit verbundene Fragestellungen“ aus dem Jahr 2015
übernommen
Ein menschenwürdiges und finanzierbares Pflegesystem, palliativmedizinische Vorkehrungen, das Hospizwesen, die Patientenverfügung und die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Sterbehilfe sind als Bausteine in einem Gesamtsystem mit wechselseitig Abhängigkeiten zu sehen und politisch zu beurteilen. Diesen Gesamtzusammenhang versuchen die Antragsteller_innen darzustellen und damit eine Lücke im NEOS-Programm zu schließen.
Für NEOS entstehen keinerlei Kosten.
Dieser Antrag zielt ab auf eine Verringerung der Belastung der öffentlichen Haushalte, weil eine starke Verlagerung auf Eigenvorsorge zur Finanzierung der Pflegekosten vorgeschlagen wird.
Die einreichenden Antragsteller_innen sowie die Unterstützer_innen sind Mitglieder des Zielgruppennetzwerks NEOS 50+.